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15.05.2020 Tagesimpuls

 

„Denn in ihm, Gott leben, weben und sind wir.“

 (Apg.17,26)

 

 

 

Liebe Mitchristen,

Auf Tuchfühlung mit Gott - geht das? Heute nehme ich Sie mit auf eine Reise, zu einem Sehnsuchtsort nach Eilean na Hearad, ein sehr poetisch klingender Name. Nein, das ist kein Phantasieort aus dem Buch „Der Herr der Ringe“, sondern der gälische Name der Isle of Harris. Sie ist die größte Insel der Äußeren Hebriden an der Westküste Schottlands und bekannt für Ihre berühmten Stoffe, den Harris Tweed. Der Harris Tweed gilt als der Beste seiner Art, ist es doch ein von den Insulanern handgewebter Stoff aus reiner Schurwolle, der nach alter Tradition nur auf den Äußeren Hebriden gefärbt und versponnen werden darf. Das Besondere ist seine unverwechselbare Individualität. Ein Stück aus echtem Harris hält in der Regel ein Leben lang.

Da gibt es den Tweed Arran, der bei den Händlern mit glühenden Herbstfarben in Rost, Grün und Orange angeboten wird oder der Tweed Arran, als schimmerte das blaugrüne Meer durch kupferfarbene Herbstblätter - ein Fischgratmuster und schließlich Tweed Erriskay, beschrieben als ein blau-grau-schwarz getöntes Wintermeer. Man kann die Inselstimmung fast einfangen und es ist, als ob in diesem so unverwechselbarem Stück Stoff, die Seele, das Herz der Insel verwebt wurde - die Luft, das Meer, die Farben, das Licht, der Duft oder die Stille. Das Faszinierende ist, dass die Tweedstoffe genau gleich hergestellt werden, aber dennoch ganz individuell im Wechselspiel der Farben und Muster gearbeitet sind. Das Weben, ein wichtiger und notwendiger Bestandteil menschlicher Kulturgeschichte. Zwei Fäden, die man dafür braucht, einen Schuss - und Kettfaden, die dann rechtwinklig miteinander verkreuzt werden. Je nach gesponnenem Faden, im vertrauten Rhythmus von Schuss und Kette, entstehen dann wunderschöne und einzigartige Muster und Strukturen. Ist nicht auch das menschliche Leben wie ein gewebtes Bild, wenn Fäden in unterschiedlichsten Farben zu (m)einem Bild verwoben werden, zu Lebensstoffen, die weich, sanft, anschmiegsam oder rau und widerspenstig sein können?

In der Apostelgeschichte 17, 26 finden wir den Lebenssatz: „Denn in ihm, Gott leben, weben und sind wir.“ Wie wunderschön, der Satz berührt mich. Gott als Weber, er kennt das Bild, das letztendlich auf dem Webrahmen eines jeden Lebens entstehen soll und er ist bei uns, er hilft uns, dass unser Leben gelingt. Und weiter lese ich in Psalm 139, 14f.: „Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast! Großartig ist alles, was du geschaffen hast – das erkenne ich! Schon als ich im Verborgenen Gestalt annahm, unsichtbar noch, kunstvoll gewirkt im Leib meiner Mutter.“ Gott hat uns nach seinem Bild geschaffen, gebildet, gemacht und gewirkt - ein altes Wort für weben. Er hat uns einen Rahmen gegeben, allen Menschen die gleiche Königswürde, und die Freiheit unsere Lebensmuster selbst zu gestalten. Und ich empfinde über diesen alten Worten eine tiefe Dankbarkeit. So ein bisschen ist das, wie „auf Tuchfühlung mit Gott gehen“. Ich liebe die Vorstellung, dass wir alle durch einen göttlichen Faden verbunden sind, auch die Dinge, die Pflanzen und die Tiere. Ein göttlicher Faden, der nach Goethe, die Welt im Innersten zusammenhält. Ein Faden der Liebe, der Vernunft, der Wahrheit, der Freiheit – oder anders gesagt, ein Faden, der ordnet, verbindet und Beziehungen schafft. Ich möchte Sie einladen, doch einmal auf ihren roten Faden, auf die alten und neuen Muster, auf die Blüten ihres Lebens zu schauen. Mit jedem Tag unseres Lebens weben wir weiter an unserem Lebensmuster, wie an einem Teppich. Wie der Faden Reihe für Reihe gewebt wird, vergeht jeder Tag fest eingebunden, verwoben in der eigenen Geschichte. Sind wir ungeduldig beim Weben, passen wir auf, dass die Fäden nicht reißen, gestalten wir mit Freude oder würden wir am liebsten das Gewebte wieder rückgängig machen? Verbindungen entstehen, ein Faden reißt, ein neuer muss aufgenommen werden, verweben wir die losen Fäden? Wie sieht mein Faden aus? Mal ist er brüchig, mal straff und fest, mal bunt und dunkel. Stehe ich nicht auch manchmal vor Situationen, an denen ich einen neuen Faden aufnehmen muss, der Rahmen wackelt, oder vertraute Muster sich verändern? Und wenn wir ehrlich sind, da wo Fäden sind, entstehen auch immer Knoten, manchmal kleine oder große. Wir kennen sie, unsere Knoten des Lebens. Verletzungen können in einer Beziehung entstehen. Unachtsamkeit, grobe Worte, keine Zeit füreinander, die Sorge um Beruf, die Kinder, um Krankheit, Trauer. So häuft sich ein Knoten auf den anderen und es bildet sich zuletzt ein undurchschaubares Knäuel. Es gibt verschiedene Möglichkeiten Knoten aufzulösen: mit viel Geduld, manchmal reißt auch der Geduldsfaden und man schneidet den Knoten einfach durch. Manchmal braucht es Zeit und langen Atem und wir müssen uns von Verstrickungen und Knoten befreien, mit denen andere uns verschnürt haben. In unserer Familie habe ich bis heute den Ruf der „Knotenauflöserin“ und meistens habe ich es auch geschafft.  Aber manchmal brauche ich auch jemand, der mir hilft meine Knoten zu lösen. Und ja, manchmal brauche ich jemanden an meiner Seite, mit dem ich die Knoten, die ich allein nicht lösen kann, aushalten kann und lerne, damit in Frieden zu leben. Maria, die Knotenlöserin aus der kleinen romanischen Kirche St. Peter am Perlach in Augsburg, ist berühmt geworden wegen ihrer außergewöhnlichen Darstellung. Maria nimmt ein verknotetes Band in die Hände und löst sorgsam und sacht nacheinander alle Knoten. Unvergessen bleibt mir der Satz eines jungen Mannes, der zu mir, mit Blick auf das Knotenband in der Hand der Gottesmutter sagte: „Das heißt doch aber, dass ich lernen muss mit meiner Krankheit, mit meinem Knoten zu leben.“

Und ist es nicht so, dass die ganze Welt von Gottes Fäden durchwirkt ist, in den wir alle unsere Erfahrungen, unsere Freude und auch unser Leid, unser Leben hineinweben dürfen?

Tuchfühlung mit Gott? Ja, das geht!

Seien Sie behütet in allem, was ist.

Ihre und Eure Ute Trimpert, Gemeindereferentin

Für die Pastoralteams der Seelsorgebereiche Alfter, Bornheim-Vorgebirge und Bornheim An Rhein und Vorgebirge

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