17.04.2020 Tagesimpuls
your tomorrow is my today - Dein Morgen ist mein Heute
HIER. Bei DIR-Tagesimpuls der Hoffnung des SB Bornheim-Vorgebirge und Alfter
„your tomorrow is my today“ - "Dein Morgen ist mein Heute"
Liebe Mitchristen,
heute möchte ich mit Ihnen einen Moment, einen Satz teilen, der mir vor bald zwei Wochen geschenkt wurde und mich seitdem begleitet. Es ist der Satz eines guten Freundes. Paul ist Australier und wenn wir uns schreiben, dann ist für uns die Zeit jeweils eine andere, oder doch nicht? Acht Stunden Zeitunterschied liegen zwischen Kardorf und Armidale in New South Wales, wo er mit seiner Familie lebt. Während ich die Spätnachrichten schaue, fährt er gerade zur Arbeit, mache ich Kaffeepause am Nachmittag, schreibt er mir: „Good Night“. Am Samstag vor Palmsonntag haben wir uns gegenseitig erzählt, wie Kirche in der Coronakrise vor den Ostertagen in Australien und hier bei uns gestaltet wird. Und der Chat endete mit seinem Satz: „Ute, your tomorrow is my today“ (dein Morgen ist mein Heute) und ich antwortete spontan: „and my today is your yesterday“ (Mein Heute ist dein Gestern). Ein Satz, der es in sich hat, er arbeitet richtig in mir, seit vielen Tagen schon. Und um zu verstehen, was da in mir arbeitet, fällt mir Momo ein, das kleine Mädchen Momo, die wie keine andere zuhören konnte. Kennen Sie das Buch? Darf ich vorstellen? Momo, von Michael Ende - ein wunderbares Buch für Kinder und Erwachsene. Es ist ein Buch über die Zeit und unserem Umgang damit. Geschrieben 1973, ist es immer noch ein topaktuelles Buch, vielleicht gerade auch jetzt, wo wir von Verlangsamung, Entschleunigung, Achtsamkeit und Zeit nehmen, sprechen. Momo ist die Geschichte eines Kindes, dass den Menschen ihre von Zeitdieben, den grauen Männern, gestohlene Zeit zurückbrachte. Pauls Satz „your tomorrow is my today“ erinnert mich an ein Rätsel, dass Momo von der Schildkröte Kassiopeia gestellt bekommt. Dieses hat mich schon als Kind fasziniert:
Das Rätsel der der Schildkröte Kassiopeia
"Drei Brüder wohnen in einem Haus, die sehen wahrhaftig verschieden aus, doch willst du sie unterscheiden, gleicht jeder den andern beiden. Der Erste ist nicht da, der kommt erst nach Haus. Der Zweite ist nicht da, er ging schon hinaus. Nur der Dritte ist da, der kleinste der drei, denn ohne ihn gäb's nicht die anderen zwei. Und doch gibt es den Dritten, um den es sich handelt, nur, weil sich der Erste in den Zweiten verwandelt. Denn willst du ihn anschaun, so siehst du nur wieder immer einen der anderen Brüder! Nun sagt mir: Sind die drei vielleicht einer? Oder sind es nur zwei? Oder ist es gar-keiner? Und könnt ihr mir ihre Namen nennen, so sind drei mächtige Herrscher zu erkennen. Sie regieren gemeinsam ein großes Reich-und sind es auch selbst! Darin sind sie gleich.“. „Die Zukunft!" rief Momo laut. "Der erste ist nicht da, er kommt erst nach Haus - das ist die Zukunft!" Meister Hora nickte. "Und der Zweite", fuhr Momo fort, "ist nicht da, er ging schon hinaus - das ist dann die Vergangenheit!" Wieder nickte Meister Hora und lächelte erfreut. „Aber jetzt", meinte Momo nachdenklich, "jetzt wird es schwierig. Was ist denn der Dritte? Er ist der Kleinste der drei aber ohne ihn gäb's nicht die anderen zwei, heißt es. Und er ist der einzige, der da ist." Sie überlegte und rief plötzlich: "Das ist jetzt! Dieser Augenblick! Die Vergangenheit sind ja die gewesenen Augenblicke und die Zukunft sind die, die kommen! Also gäb's beide nicht, wenn es die Gegenwart nicht gäbe.
Das ist ja richtig!" I
Ich hätte die Lösung des Rätsels nicht gewusst, und Sie? Spannende Frage - wie empfinden wir Zeit?
Da ist einmal die abstrakte Zeit, die physikalische messbare Zeit, wir kennen sie alle, unterteilt in verschiedene Zeitabschnitte von der Sekunde bis zum Jahr. Zum anderen erfahren wir die linear-biografisch-historische Zeit, der Verlauf der Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft. Meine Vergangenheit ist gefüllt mit meinem und dem Leben meiner Vorfahren, die Gegenwart wird von mir als hier und jetzt wahrgenommen, in die Zukunft werden meine Hoffnungen projiziert. Und da ist noch die zyklische Zeit, der natürliche Zeitenrhythmus des Werdens und Vergehens, das sich Wiederholen von Ereignissen wie Tag und Nacht oder Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. „Im Winter atmet die Erde aus, im Sommer holt sie tief aus“, dieser Satz begegnete mir in einem der hiesigen Hofläden und bringt dieses zyklische Zeitgeschehen sehr poetisch auf den Punkt. Wenn wir Momo folgen, dann sind es genau diese drei Augenblicke gestern, heute und morgen, die unserem Bewusstsein für Geschichte eine neue Dimension geben, nämlich, die Erkenntnis, dass sich Dinge und Verhältnisse durch mein eigenes Handeln verändern können, aber dass es auch Grenzen des eigenen Handelns gibt. Erst dann erfahren wir Geschichte als ein „Schatzkistchen menschlicher Erfahrungen“, in dem sich Orientierungshilfen für die Gegenwart befinden.
Ein schöner Vergleich ist der einer Melodie, bei der die verklungenen Töne noch in Erinnerung sind und mit den gegenwärtigen Tönen eine Erwartungshaltung für die noch folgenden Töne erwecken.
Mit diesem Bild der Melodie komme ich zurück auf meinen Satz „your tomorrow is my today“. Es ist die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die mich herausgefordert und angesprochen hat, zu verstehen, dass etwas gleichzeitig und ungleichzeitig sein kann und darf.
Denn, ist das Reich Gottes nicht wie eine Melodie, bei der aus dem bereits Gehörtem, den Predigten, Verheißungen und Gleichnissen Jesu über das Reich Gottes sowie dem gegenwärtigen christlichen Handeln, durch das das Reich Gottes mitten unter uns ist, die Erwartung erwächst auf die kommenden Töne, die Vollendung der Musik, die Hoffnung darauf, dass sein Reich komme. Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Ein Widerspruch - nein ganz im Gegenteil Wie ein festes Band sind wir durch alle Zeiten hinweg in die Gegenwart und Zukunft mit dem Ostergeschehen verbunden. Dies ist für mich die Botschaft der Auferstehungsgeschichten, die wir in diesen Tagen der Osteroktav hören. So hören wir im heutigen Evangelium, wie Jesus am Strand vom See Genezareth in den Alltag der Jünger tritt, ein Alltag, der gerade alles andere als gut startet. Sie haben nichts gefangen, ihre Netze sind leer. In diese Notsituation hinein macht sich Jesus bemerkbar. Aber sie erkennen ihn zunächst nicht. Wenn wir an unseren eigenen Alltag denken, kreisen wir nicht oft in unendlichen Schleifen um unser alltägliches Tun, der Termindruck, die vielen kleinen unerledigten Dinge u.v.m. Oft merken wir es gar nicht sofort oder nur verzögert, wenn dieser Kreis einmal durchbrochen wird. Denn, so wie Jesus völlig unvorbereitet in den Alltag der Jünger eintritt, so tut er das auch in unserem Alltag, leise und manchmal eher unbemerkt und doch mit seiner ganzen Größe und Kraft. Er kommt, handelt und wird erlebbar.
Sind wir mal ehrlich! Rechnen wir noch mit seinem Kommen? Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt Jesusbegegnungen in unserem Alltag zu sammeln, so klein sie auch sein mögen, sei es nachbarschaftliche Hilfe, eine liebevolle Geste, Wort oder Solidarität für das kleine Restaurant nebenan, das ums Überleben kämpft oder das Verteilen des Palmzweiges an Palmsonntag durch die Jugendkirche und unsere ehrenamtlichen HelferInnen. Dann geschieht Auferstehung heute, so, wie es gestern geschah und wie es morgen geschehen wird: Dann kann „my tomorrow is your today“ auch „my today is your yesterday“ sein. Wichtig ist es doch, dass es jetzt geschieht.
Seien Sie behütet in allem, was ist
Herzlichst
Ihre Ute Trimpert, Gemeindereferentin
Für die Pastoralteams der Seelsorgebereich Alfter, Bornheim-Vorgebirge und Bornheim- An Rhein und Vorgebirge
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Zwischen der Weise, wie wir Dinge betrachten, und dem, was wir tatsächlich entdecken, besteht ein enger Zusammenhang. Wenn es uns gelingt zu lernen, unser Selbst und unser Leben auf eine liebevolle, schöpferische und abenteuerliche Weise zu betrachten, können wir uns auf erstaunliche, wunderbare Entdeckungen gefasst machen
(John O Donohue)