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17.06.2020 Wochenimpuls

Sommerseele

 Gerstenfeld

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Sommerseele

Liebe Mitchristen,

Ich habe das Radfahren wiederentdeckt und jetzt weiß ich, was ich so vermisst habe. Etwas aus eigener Kraft zu tun, die Landschaft, die Luft um mich herum aufzunehmen, das Spüren des Fahrtwindes, das Glücksgefühl eine herausfordernde Anhöhe geschafft zu haben und das darauffolgende glückselige einfach weiterradeln. Vor wenigen Tagen habe ich das passende Wort dafür gelesen, „Genussradeln“. Ein schönes Wort, verbindet es doch beide Seiten, die unser Leben ausmachen, das Leben und leben lassen, den Wechsel von äußerer und innerer Aktivität unseres Lebens. Doch da ist mehr, als das nur wieder aktiver etwas für mich tun; es ist die Erkenntnis, meine Lebendigkeit neu zu entdecken, das Leben zu spüren, die Schönheit des Lebens. Warum dies gerade jetzt geschieht, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht ist es das Stück Freiheit, dass wir so schmerzlich vermisst haben in den letzten Wochen. Als ich losfahre ist mir noch gar nicht so klar, dass meine kleine Radtour an Himmelfahrt heute meinen neuen wöchentlichen Impuls für Sie eröffnet. Ich möchte Sie gerne einladen, mit mir zu fahren und selbst zu spüren, warum dies so ist. Mein Weg führt mich von Kardorf auf den Gemüseweg, an den wunderbaren Bahnübergang, an dem man für das Öffnen der Schranke noch klingeln muss, weiter immer Richtung Rhein. Je näher ich dem Rhein komme, spüre ich eine Vorfreude, hat der Rhein doch für mich eine besondere Bedeutung – er ist meine Heimat, immer wieder, auch wenn viele Kilometer zwischen meinem Geburtsort und dem heutigen zu Hause liegen. Ich sage oft, dass ich ein Sommerkind bin und heute spüre ich es besonders. Denn, während ich fahre, nehme ich den Duft des Sommers in mir auf, fühle mich erfüllt davon. Ein Kaleidoskop der Farben erzeugt eine bezaubernde Stimmung. Mir ist, als ob ich die Seele des Sommers spüren könnte, vielleicht auch das Aufbäumen der Erdseele, und ich bekomme eine Ahnung von dem poetischen Wort des Jubels der Schöpfung, des Paradieses, dass eben dort, wo die Zeit unwichtig und still zu stehen scheint, der Himmel die Erde berührt. Und das Schöne ist, dass dieser Ort der Fülle (Joh 10,10) überall sein kann. Ich fahre vorbei an sich abwechselnden Gersten- und Weizenfeldern, an Feldern, wo für uns seit Generationen auf fruchtbaren Rheinlöss alle Art von Gemüse angebaut wird. Ich halte an, nehme mir die Zeit einfach nur zuschauen.

 

 Mohnfeld

 

Bild: F. Krüger, Hersel

 

Anmut und Schönheit entzücken das Auge, doch mehr als beide Blumen des Feldes.

Altes Testament, Jesus Sirach 40,22


 Das ist so, wie eine innere Photographie, die sich festbrennt. Ich sehe einen letzten Rest der Pfingstrosenblüte, den Graureiher, der mich anschaut, das Entenpärchen, das in aller Seelenruhe meinen Weg kreuzt und ich vom Rad absteigen muss. Den Duft würziger Kräuter in der Nase fällt mein Blick auf die verschiedenen Gemüsefelder. Ich sehe zarte Salatblättchen, den Rhabarber, Kohlrabi, die Kartoffeln, dann der Blick auf das Vorgebirge und Richtung Rhein mit unseren markanten Kirchtürmen. Die Kirchen, seit alters her Orientierungspunkte für die Menschen am Rhein und Vorgebirge, und so suche ich das grüne Dach von St. Joseph in Kardorf, wo ich zu Hause bin. Immer wieder begegnen mir Menschen, die mir freundlich zu winken und manchmal erwischt mich eine Bewässerungsanlage und erfrischt mich. Meine Fahrt geht weiter. Ich komme nach Widdig, fahre an der Kirche vorbei, und freue mich schon jetzt, ab September in unserem künftigen Sendungsraum, auch Widdig und Hersel besser kennenlernen zu dürfen. Mein Weg führt mich an den Rhein. Und da ist er wieder, mein Fluss, der wie ein blauer Faden durch mein Leben und Herz fließt. Ich komme nach Hersel, vorbei an dem spätmittelalterlichen Bayerhof mit seiner spannenden wechselreichen Geschichte, der die Region eindrucksvoll geprägt hat und nehme mir vor, mich einmal länger damit zu beschäftigen. Dann eröffnet sich mir ein wunderschöner Blick auf eine Wildackerfläche der besonderen Art. Und ich bin sehr dankbar für den Tipp, den ich vor einigen Tagen von einem Herseler erhielt. Der Wind weht leise, das Tageslicht ist wechselhaft, Lichtspiele und tanzende Schatten der zarten, im Wind schaukelnden Pflanzen wechseln sich ab. Und ich werde ganz still.

Hier sollte ich sie treffen, die Sommerseele, die Sommerpoesie.

Es eröffnet sich ein Blick auf ein tiefrotes Mohnblumenfeld und die nächsten Minuten lasse ich es einfach so auf mich wirken. Und es wirkt und bewirkt schnell. Der Mohn inmitten eines Weizenfeldes, bereits Hand in Hand mit wunderschönen Phazelien, einer Pflanze, die sich gerne als Zwischenfrucht zwischen den Fruchtfolgen findet. Dazu eine Fülle an Wildkräutern. Haben Sie schon einmal versucht die Farben oder den Zauber des Sommers zu hören oder zu spüren? Hier kann es gelingen. Davon bin

 

ich überzeugt – es ist die Sommerseele. Alles atmet Lebenskraft. Wenn wir an unsere Lebenssommer denken, hören wir wieder die Klänge, Geräusche, die wir damit verbinden, sei es der warme Wind, Fußabdrücke im Sand, den Duft der Rosen, der Kräuter und des gemähten Grases, den Geschmack von Salz beim Strandspaziergang, das Lachen der Menschen, die uns umgeben. Solche Sommermomente voller Poesie erinnern vielleicht an unsere Kindheit, an Begegnungen, Momenten des Glücks und der Liebe, an eine Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die uns ein Lächeln in das Gesicht zaubert und die wir auch ein wenig mit Wehmut betrachten. Aber lassen wir uns an solchen Sommererinnerungsorten, wie an diesem wunderschönen Mohnfeld, doch verführen und anstecken, unseren Sommermomenten noch einmal zu begegnen und gleichzeitig den uns geschenkten Sommer jetzt einzuatmen.

In der Natur zu sein ist für mich Inspiration, Quellort, Freiheit und immer auch Ort des Gedankenwechsels. In der nächsten Woche feiern wir Johannis, den Geburtstag Johannes des Täufers (24. Juni), vier Tage nach dem längsten Tag des Jahres. Sommersonnenwende und Johannis – die Sonne läuft auf ihrer höchsten Bahn. Die Blüte entfacht ein Feuerwerk, die Insekten sammeln den Nektar, sie summen und brummen wie verrückt, wie hier am Auenweg in Hersel. Der Johannistag lädt dazu ein diese empfundene Kraft des Sommers, seine Seele in uns aufzunehmen: die Sonnenstrahlen, Düfte und Farben, aber auch, die Wärme zu tanken und uns einen Vorrat anzulegen Im Johannesevangelium (Joh 3,22-30) sagt Johannes der Täufer: „Ich bin nicht der Messias, sondern nur ein Gesandter, der ihm vorausgeht.“ Und weiter:

„Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden.“

Es ist einer meiner Lieblingssätze, nicht von Jesus, sondern von Johannes dem Täufer, weil es etwas in mir berührt. Der Höhepunkt ist zugleich der Wendepunkt. Ab dem

20. Juni werden die Tage wieder kürzer. Das Grün wird dunkler, die Felder werden gelb, die Zeit der Ernte naht. Die Kraft der Natur geht nach innen, von den Blüten in die Frucht. Das eine wächst, das andere nimmt ab. Im Winter atmet die Erde aus, im Sommer holt sie tief Luft. Und es stimmt.

So hat es Johannes der Täufer auch verstanden. Johannes ist Jesus vorangegangen, hat ihm den Weg bereitet. Die Bibel erzählt, dass er sechs Monate vor Jesus geboren

wurde. Am Tag der Wintersonnenwende feiern wir Jesus, um den Tag der Sommersonnenwende Johannes, der auf dieses Licht hinweist. Die Bibel sagt von ihm:

„Er war selber nicht das Licht, sondern da, um für das Licht zu zeugen“ (Joh 1,8). Die Dynamik des Wachsens und Abnehmens, wenn sie sich im Wandel der Natur oder im Zyklus unseres Lebens entfaltet, hat Menschen seit Jahrtausenden bewegt. Sie kennen sicher auch viele Johannisbräuche, z. B. das Binden der Kräuter für die Liebenden, das Johannisfeuer, den Johanniswein, die Bauern -und Wetterregeln. Die Ernte wird in den Blick genommen, die Zeit des Aussäens ist vorbei. Das müssen wir wieder neu für uns entdecken und in unser Leben lassen. Etwas Neues kann nur beginnen, wenn Anderes zurückgeht.

In unserem Leben gibt es Zeiten, in denen wir schmerzhaft erleben müssen, dass unsere Kräfte abnehmen. Das macht uns Angst und ist oft nur schwer anzunehmen. Und doch haben wir alle erfahren, dass genau darin die Chance, der Zauber eines neuen Anfangs liegt. Das möchte ich gerne zum Johannistag aufnehmen. Lass dich ein auf den Wechsel von äußerer und innerer Aktivität. ruhe Dich aus, sammle Kraft, sortiere Dich neu, und lass die wärmende und leuchtende Christuskraft in Dir wachsen. Wo überschreite ich die Grenzen meiner Kraft? Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Zeit für eine Auszeit – Sommerzeit – Ferienzeit. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Hoch-zeit des Jahres so für sich nutzen, dass es ihnen guttut.

 

 

Seien Sie behütet in allem, was ist.

Ihre und Eure Ute Trimpert, Gemeindereferentin

 

 

Für die Pastoralteams der Seelsorgebereiche Alfter, Bornheim-Vorgebirge und Bornheim An Rhein und Vorgebirge