Wochenimpuls vom 30.09.2020
Vorausgegangen
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Zachäus
Er suchte Jesus, um zu sehen, wer er sei,
doch er konnte es nicht wegen der Menschenmenge; denn er war klein von Gestalt.
4 Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste
(Lk 19, 3;4)
Vorausgegangen
Ich möchte heute einen Gedanken, ja vielleicht sogar eine persönliche Erkenntnis mit Ihnen teilen, etwas, was sich ganz unerwartet in meinem Inneren fest gemacht hat. Ich habe es überschrieben mit dem Wort „Vorausgegangen“. Und alles fing an mit einer kleinen reifen Bucheckernschale, sie war leicht aufgeplatzt, der Kern schaute heraus. Und ich sammelte sie zunächst aufgrund ihrer natürlichen schlichten Schönheit auf, als Zeichen des herannahenden Herbstes. Ich war damals auf Exerzitien im Mutterhaus der Franziskanerinnen von Vierzehnheiligen in Oberfranken, dem weit über die fränkischen Grenzen hinaus bekannten Wallfahrtsortes. Man nennt Vierzehnheiligen auch Bethlehem des Nordens, ist es doch der Legende nach dem einzigen Ort, wo das Jesuskind erschienen sein soll. Es ist für mich ein besonderer Ort, seit vielen Jahren zieht es mich einmal im Jahr für eine Woche dorthin. Diese Zeit überschreibe ich mit dem treffenden Satz des Hl. Bernhard von Clairvaux „geh deinem Gott entgegen, bis zu Dir selbst“. Es ist eine Oasenzeit für mich und meine Beziehung zu Gott. Ich lasse mich im Schweigen darauf ein, mit dem Herzen hinzuhören, hinzusehen und hinzufühlen, auf dass, was mir geschenkt wird. So ist diese Zeit auch eine geschenkte Zeit. Sie ist geprägt von Impulsen, Schriftworten, die ich dann langsam in mir sozusagen verkosten darf, in meditativen Atemübungen, in Musik, in stillen und einsamen Wanderungen, z. B. auf den Veitsberg, dem Berg der Franken, den Staffelberg oder aber entlang der zauberhaften naturbelassenen Ufer des nahen Mains, seine Fließkraft und Schönheit einatmend. Diese Tage sind auch ein Herausziehen aus dem Alltag in eine Anderswelt, um dann zu begreifen, dass beide Welten wie zwei Herzhälften unbedingt zueinander gehören. Dieser Gedanke trägt mich besonders in meinem liebgewonnen Alltag und in meinem Beruf. An jenem Morgen begleitet mich die bekannte Zachäusgeschichte, eine Geschichte, von der ich glaubte, ich kenne sie in und auswendig. Weit gefehlt. Auf meinem Weg auf den Staffelberg, die biblische Erzählung noch im Ohr, fand ich dann jene kleine Buchecker und alles hat sich schlagartig verändert. Ich kann ihre Verwunderung fast sehen. Und ich muss lächeln. Doch erst einmal zurück zur Schrift. Da hören wir von Jesus und Zachäus, dem Zöllner aus Jericho. Jericho, eine der ältesten Städte des Vorderen Orients überhaupt, eine alte Handelsstadt, im Schnittpunkt alter Karawanenstraßen, unweit des Jordans und des Toten Meeres, eine durch Handel reich gewordene Stadt. Schon Herodes baute dort Paläste. Dort wohnte Zachäus, er wird ausdrücklich mit Namen genannt, er ist reich und klein, aber ein wichtiger Mann, wenn er auch, aufgrund seines Berufes als oberster Zollpächter, wenig beliebt ist. Aufgrund der Geldeintreiberei galten Zollpächter als Sünder. Vermutlich waren ganze Elterngenerationen vor ihnen Zöllner, denn unehrenhafte Berufe blieben in der Familie. Jesus kommt, die Menschen versperren Zachäus die Sicht, keiner lässt ihn nach vorne – mit Sündern verkehrt man nicht. Das macht man nicht. Trotz seines Reichtums hat er keine Begleiter oder kann sich Hilfe erkaufen. Aber Zachäus, vermutlich gewohnt, dass Menschen ihn übersehen, ist clever. Er kennt die Wege in der Stadt. Er geht voraus. Das hat er bei anderen Großereignissen sicher auch schon gemacht. Der Umweg führt ihn zum Ziel. Nahe der Straße steht ein starker Maulbeerfeigenbaum, der ihm Schutz, Halt und Geborgenheit gibt. Und dann geschieht das Unfassbare. Jesus sieht ihn auf dem Baum und ruft: „Komm herunter, ich bitte um deine Gastfreundschaft.“ In diesem Moment geschieht etwas Fundamentales. Die Zuwendung Jesu bewirkt Verwandlung – Wandlung. So verstehe ich das. Und ich bekomme eine Gänsehaut. Jesus trifft ihn in sein Herz und verwandelt es in ein barmherziges und warmherziges Herz. Von nun an möchte er seinen Reichtum mit den Armen teilen. Sein altes Ich streift er ab. Er hat für sich erkannt, gespürt, dass Jesus ihn verwandelt – ja gewandelt hat. Die Begegnung Jesus und Zachäus- wahrhaftig fast ein eucharistischer Akt. Da möchte jemand mit ihm, dem Zöllner, zu tun haben. Für Zachäus muss das eine sehr einschneidende Erfahrung gewesen sein.
Und was hat dies jetzt mit meiner kleinen unscheinbaren Bucheckernschale zu tun? Alles! Die alte Schale, die das kostbare Innerste bisher getragen hat, platzt auf und die Frucht fällt heraus – die Frucht als Symbol für Aufbruch, etwas Neues, für den Beginn eines neuen Lebens.
Für mich geht Zachäus allen anderen Menschen in Jericho voraus. Er erhält die Chance vor Jesus stehend zu handeln. Und er zögert nicht, er erkennt die Bedeutung des Momentes. Ich nenne das Sekundenglück, wie es Herbert Grönemeyer in seinem erfolgreichen Song dieses Jahr besungen hat. Es geht um die Wirkkraft der Worte, sie nicht nur zu hören, sondern sie in unser Herz aufzunehmen, mit dem Herzen zu hören, dass sie wirken können und bewirken, nämlich unser Handeln.
Würden Sie mich fragen, in welcher Rolle ich mich in dieser biblischen Erzählung wiederfinden würde, fällt mir die Antwort nicht schwer.
In allen dreien!
1. Ich bin auch Zachäus, mache mich klein, verstecke mich, suche Halt, bin ungerecht, tue Unrecht verlange zu viel, erfahre Ablehnung, bin auf der Suche nach Gegenliebe
2. Manchmal bin ich Jesus ganz nah, wenn ich Trost spende, Schutz und Halt gebe, Liebe geben und erfahren darf
3. Aber stehe ich nicht auch stellvertretend für die Menge all derer, die die Worte hören, und ihre Wirkkraft verlieren, weil das Herz verschlossen bleibt, unfähig zu handeln, anonym bleibend, ängstlich sind oder sich anpassend?
Ich muss heute nicht mehr auf den Baum klettern, um Jesu Worte zu hören. Ich muss seinen Worten nur meine Herzenstür aufmachen und ihn hineinlassen. Glauben heißt, das Herz schenken, seines hat er mir längst geschenkt.
Das hat Zachäus mir gezeigt
Er ist mir vorausgegangen.
Seien Sie behütet in allem, was ist.
Ihre und Eure Ute Trimpert, Gemeindereferentin
Für das Pastoral-und Seelsorgeteam Alfter-Bornheim