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Wochenimpuls vom 11.11.2020

9./10.November 1938

HIER. Bei DIR-Wochenimpuls der Hoffnung der SB Alfter, Bornheim-Vorgebirge und Bornheim-An Rhein und Vorgebirge

Stolpersteine:

Gustav Beretz, Paula Beretz, Erika Beretz und Jakob Beretz

Blumenstraße 105, Waldorf

Hier gibt es den Wochenimpuls als pdf

„Ich möchte, dass sich jemand daran erinnert,

dass einst eine Person namens David Berger gelebt hat“

Holocaust Opfer David Berger in einem Brief an seine Freundin Elsa, Wilna 1941

Manchmal begegne ich ihnen ganz unverhofft und unerwartet. Es ist nur eine kleine Unregelmäßigkeit im Boden, ein goldfarbenes Aufblitzen, wenn die Sonne darauf scheint, ein Schimmern im Nass der Regentropfen, ein wiederkehrendes Muster unter den im Laufe des Jahres darüber wehenden Steinchen, Pflänzchen, Blüten oder gar Schneeflocken. Sie liegen auf unseren Wegen, machen uns aufmerksam auf das dunkelste Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts, sie erinnern an das Schicksal unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen, Frauen, Männern und  Kindern,  die während des Nationalsozialismus  brutal erniedrigt, verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.

Stolpersteine – sie sind Mahnmal und Erinnerungskultur zugleich, eingelassen in den Gehweg vor den ehemaligen Wohn- und Geschäftshäusern der NS-Opfer- auch in Bornheim.

Ob zu Fuß oder mit dem Fahrrad, so oft ich kann, verweile ich einen Moment und nehme mir Zeit die Namen zu lesen und mit in den Tag zu nehmen. Es ist mir eine liebgewonnene Angewohnheit. Es ist ein wenig so, als hätte ich die Chance, so dem Menschen hinter dem Namen über Zeit und Schicksal hinweg, zu begegnen. Ein Wort aus der jüdischen Tradition lautet: "Das Vergessen wollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung." Dieser Satz überschreibt die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, die an Opfer des Holocaust im Nationalsozialismus erinnert. Auch Bundespräsident Richard von Weizäcker hat diesen Satz am 8. Mai 1985 in seiner großartigen Rede, anlässlich des 40. Jahrestages der Beendigung des Krieges, zu seinem Leitmotiv werden lassen, dass der Umgang mit unserer Geschichte nur mit der Erinnerung gelingen könne. Erinnerung als Schlüssel zur Erlösung, zur Versöhnung, zu gegenseitigem Respekt und Würde. Seine Rede ist für mich ein Meilenstein in der öffentlichen Aufarbeitung der NS-Geschichte. Ich war damals in England und ich erinnere mich gut, wie wir uns am 8. Mai in der Bibliothek der Schule versammelten und dem Ende dieses grauenvollen Kapitels deutscher und gesamteuropäischer Geschichte gedachten. Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Dieser Satz hat sich mir bis heute tief eingeprägt. Die Erfahrungen und Erinnerungen an einen Krieg, dessen ungeheures Ausmaß und Schrecken nicht in Worte zu fassen sind und das Leben der betroffenen Familien und der nachfolgenden Generationen bis heute leidvoll prägt. In unseren Herzen aber gibt es Geschichten, an die wir uns bis heute erinnern- Geschichten von den Urgroßeltern, Großeltern, Vätern und Müttern, Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern u.v.m. Diese Erinnerungsgeschichten sind so persönlich, wie die Handschrift eines Menschen: 

Mein Vater wurde im Dezember 1938 geboren und ich erinnere mich daran, dass mir meine Großmutter schon früh erzählte, wie sie den Pogrom am 9. November 1938 in Dotzheim, einem kleinen ländlichen Vorort von Wiesbaden, am Tor zum Rheingau, erlebt hat. Während sie sprach, spürte man den Schecken, ihre weit aufgerissenen Augen, der stockende Atem, ihre immer lauter werdende Stimme. Ich werde das nie vergessen. Sie erzählte mir, dass sie damals hochschwanger in ihre Wohnung gedrängt wurde und begann, ihre Möbel aus dem Fenster zu werfen bis einem SS-Mann auffiel, dass sie sich in der Wohnung geirrt hatten, eine Verwechslung aufgrund des vermeintlich jüdischen Familiennamens meiner Großeltern Falk.  Sie erzählte mir von dem Zittern und in ihrer Stimme schwang auch Jahrzehnte später die Machtlosigkeit einer jungen Frau hervor, die ihren Nachbarn, mit denen sie immer ein gutes Verhältnis verband, nicht mehr hatte helfen können. Viele Jahre später erfuhren wir, dass dem Sohn die Emigration gelungen, die Eltern jedoch nach Polen deportiert und ermordet wurden.  Daran muss ich immer denken, wenn ich Stolpersteine entdecke, die persönlichen Geschichten ihres Lebens, ihre Träume, Freude, Hoffnung, die Herzensgeschichten, ihre Angst, ihr Leid und Schmerz. Und es betrifft auch meine eigene Familie. Der Urgroßvater unserer Kinder wurde gerade einmal 25 Jahre alt, 1937 von der Gestapo verhaftet, in Untersuchungshaft in das KZ nach Sachsenhausen bei Berlin gebracht. Nach nur fünf Wochen Untersuchungshaft ohne Prozess in das zuständige KZ Dachau gebracht und noch am gleichen Tag, Ende April 1937, exekutiert. Über die Gründe ist fast nichts bekannt. Keine Angaben, keine schriftlichen Aufzeichnungen, keine Auskunft-nichts. Es hat fast 75 Jahre gebraucht bis wir eine Ahnung hatten, was tatsächlich passierte. Noch immer fehlt mir die letzte großen Aktenrecherche in Moskau. Meine Nachforschungen in den Archiven, die  wenigen Aufzeichnungen, die persönlichen Zeilen, der berührende so liebevolle Abschiedsbrief aus Sachsenhausen, der mich bis heute immer wieder zu Tränen berührt, weisen auf politischen Widerstand  sowie intensive Kontakte zu jüdischen Untergrundorganisationen und Widerstandsgruppen.  Mir  - uns  - war es wichtig mit der Erinnerung an das Geschehen, unserem Großvater seine  Würde über den Tod hinaus zurückzugeben, eine Würde, die weiter wirkt, die Begegnung ist, Herzensverbundenheit und es gelingen kann, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit damit entschieden  entgegenzutreten - ein Anliegen mit dem unsere Kinder aufgewachsen sind.  Und, wenn Tränen kommen, dann dürfen sie kommen. Ich nenne sie Tropfensegen, dass nichts anderes ist, als etwas Gutes mit Tränen zu sagen für all jene, die wir betrauern. Mit unserem Dasein ist allen Menschen eine königliche Würde geschenkt. Unsere Welt ist so bunt vielfältig, geheimnisvoll und wunderschön. Der Ort Gottes ist da, wo wir ihm begegnen. 

Das Leben ist uns geschenkt und es ist untrennbar verwebt mit unserem Nächsten und damit auch mit dem der den Kettfaden bewegt hat. Ich habe versucht dies mit dem biblischen Wort des alttestamentlichen Buches Kohelet (Koh 3, 1-12) ins Wort zufassen:

 

Gott hat Dir

seine Ewigkeit

ins Herz gelegt

Ihr fallt in eins

In die   Liebe

Hör auf dein Herz

Du kannst es spüren

Weite deinen Blick

für den schimmernden Glanz

für das leise Lächeln

im Antlitz deines Gegenübers

Sein Alles ist dein Alles

Es besteht für ewig

Was geschehen,

was sein wird

ist schon längst gewesen

und

Was vergangen

Holt er wieder

und wieder

hervor

Sein Alles schenkt er Dir - für immer

(Ute Trimpert nach Koh 3, 12)

 

Stolpersteine, sie sind Ausdruck unserer Verantwortung für die NS Verbrechen.  Die Erinnerung in unseren Alltag holen, darum geht es bei dieser großartigen Initiative zur Verlegung der Stolpersteine. Um den Initiator zu zitieren: „In Deutschland liegen Stolpersteine in mehr als 920 Dörfern und Städten Das ist immer noch ein Bruchteil und das Projekt wird immer symbolisch bleiben, aber ich möchte so viele Orte in Europa wie möglich erreichen und damit auch so viele Menschen wie möglich“. Und es ist gut, dass wir hinschauen und bemerken, wenn sie zu fehlen scheinen. Es ist gut, dass wir dies dann deutlich und mit Nachdruck ins Wort bringen.  Dann hat der Künstler Gunter Demnig uns erreicht.

Denn David Bergers Zeilen 1941, hätten auch die Worte von Paula Beretz geb. Herz aus Waldorf sein können, die 1942 in das Ghetto der weißrussischen Stadt Minsk deportiert und dort ermordet wurde.

„Ich möchte, dass sich jemand daran erinnert,

dass einst eine Person namens Paula Beretz in Waldorf gelebt hat“

 

Erinnern wir uns immer daran, dass Gott uns seine Ewigkeit ins Herz gelegt hat

(Koh 3,11)

 

Seien Sie behütet in allem, was ist.

Ihre und Eure Ute Trimpert, Gemeindereferentin

Für das Pastoral-und Seelsorgeteam Alfter Bornheim